Geschichte der archäologischen Forschung in Krefeld
von Renate Pirling
Der älteste und traditionsreichste Stadtteil Krefelds ist das
erst 1929 eingemeindete Dörfchen Gellep. Es ist identisch mit dem in mehreren antiken Quellen, darunter dem Geschichtswerk des Tacitus genannten römischen Kastell Gelduba. Das um diese Identität ist anscheinend nie ganz verloren gegangen. Bernardus Mollerus, Geistlicher und Beichtvater des Münsteranischen Bischofs, später Kanoniker zu Vreden, hatte ein 1570 erstmals im Druck erschienenes fünfbändiges Werk "Rhenus", einen Rheinführer in lateinischer Sprache, verfasst. Vermutlich war er durch die Mosella
des Ausonius dazu angeregt worden, die zwar schon um 375 niedergeschrieben aber erst durch eine um die Mitte des 16. Jahrhunderts erschienene Druckausgabe weiteren Kreisen bekannt geworden war. Im fünften Buch des "Rhenus" ist zu lesen:
"In miseris pauper Latitat Gelduba ruinis:
Eminus ad laevam fluminis stetit.
Dicitur arctato Gelbis iam nomine: firma
Contigua pagum parte Liaena (Lynn) videa"
Diese poetische Schilderung hat der Uerdinger Lehrer Franz Stollwerck für sein
1877 erschienenes Büchlein "Die römisch-celtubische Niederlassung Gelduba" einfühlsam übersetzt:
"Sieh, in traurigen Ruinen birgt sich das arme Gelduba:
Hoch zur Linken des Stroms war sein frührer Stand.
Heißt auch heute noch Gelb in des Namens starker Verkürzung:
Auch in nicht weiter Fern‘ sieht`s das befestigte Linn"

Dem Kölner Historiker Aegidius Gelenius war um die
Mitte des 17. Jahrhunderts die Identität von Gelduba und Gellep gleichfalls geläufig. Anlass für eine Beschäftigung mit dem Ort war für ihn dessen Erwähnung im "Martyrologium Hieronymianum" einem Heiligenverzeichnis aus dem 7. Jahrhundert. Zum 20. Dezember ist da von einem "Gildoba in Tracia" die Rede, im Zusammenhang mit dem Martyrium eines Mannes namens Julius, eines Angehörigen der
sagenhaften "Thebäischen Legion". Da sich in Thrakien ein Ort namens Gildoba nicht finden ließ, glaubte Gelenius für „Tracia“ an eine Verschreibung und sah in Gildoba das aus der antiken Literatur bekannte Gelduba. Dessen Lage beschreibt er auf dem linken Rheinufer in der Nähe Uerdingens.
Auch für den Klever Historiker Teschenmacher war am Anfang des
18. Jahrhunderts die Identität von Gelduba und Gellep klar, er wandte sich entschieden dagegen, erstes mit Geldern gleichzusetzen, was etliche Historiker vor ihm getan hatten.
In der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts war mit den Strömungen der Romantik allenthalben das Interesse an der heimischen Geschichte erwacht. Man begann, sich intensiv mit den Berichten antiker Autoren zu beschäftigen, die sich auf die unmittelbare Umgebung bezogen, stellte aber auch schon Beobachtungen im Gelände an und sammelte Bodenfunde.
Bezeichnend ist die
1810 von dem Uerdinger Kaufmann Heinrich Wilhelm Herbertz verfasste Schrift »Das Dörfchen Gelb‘ (wie Gellep damals hieß). Sie beginnt mit den Worten: "Unter den vielen Orten, wo einst die Römer am Rhein ihre castra wählten zeichnet sich das alte Gelduba oder heutige Gelb aus; durch häufige Spuren, die man theils mit graben oder zufälligem Aufwühlen der Erde entdeckt, aber auch nach einem gefallenen Regen über seine Acker hervorgepflügt findet. Seine
Lage ist römisch: eine ausgesuchte Anhöhe, die auch das höchste Wasser zur Winterszeit, wenn die umliegende Gegend vom Rheine überschwemmt wird, nicht erreichen kann. Einst ein einsames Dörfchen, das eine viertel Stunde ober Uerdingen etwas vom Rheine abliegt. Hohe Ulmen bedecken die wenigen Mayerhöfe mit ihrem Schatten, und machen diesen ehemaligen Römersitz als dominierend in der flachen Gegend, romantisch umher bemerkbar." Herbertz beschreibt auch eine
"starke römische Mauer", die noch im Keller eines Hauses sichtbar ist und sich weiter durch die Felder zieht, und Fügt an, diese sei „auf der Oberfläche in der Ebene dadurch noch bemerkbar, dass ein steriler Streif sich durch das Feld zieht, wo keine Frucht gedeihen soll.“ Auch von ersten Raubgrabungen berichtet Herbertz: „was man von den Landleuten über ihre Entdeckungen hört, ist, dass sie immer vielerlei
Sachen, Münzen und Töpfe, gefunden hätten, welche letztere sie aber viele mit Unbehutsamkeit des Ausgrabens in Scherben verwandelten.“ Für die zutage gekommenen Antiquitäten hatten sich schon Angehörige der Besatzungstruppen der napoleonischen Zeit interessiert.

1837 war in Krefeld ein Sammelwerk unter dem Titel »Alterthümliche Merkwürdigkeiten der Stadt Xanten und Umgebung“ erschienen, das von dem Pfarrer J. P. Spenrath verfasst und von dessen Amtsbruder J. Mooren in Wachtendonk herausgegeben worden war. Darin wird ausführlich die Schilderung des
Bataveraufstandes vom Jahre 69 durch Tacitus kommentiert. Der römische Oberbefehlshaber hieß Hordeonius Flaccus und so war für Spenrath klar, dass das bei Gellep aufgeschlagene Lager "castra Hordeonii "
eine begrenzte hieß und dass der Name Uerdingen sich davon herleite.
Dies zeigt, dass man gelegentlich mit viel Phantasie und einer
gewissen Sorglosigkeit vorging, wenn es sich darum handelte, Angaben
antiker Autoren auf heimische Orte zu beziehen.
Die älteste wissenschaftliche Abhandlung über das
Kastell Gelduba verfasste 1851 der damalige Rektor der höheren Stadtschule zu Krefeld, Dr. Anton Rein. Ihm folgte der Uerdinger Lehrer Franz Stollwerck 1877 mit dem schon erwähnten Büchlein „ Die celtubisch-römische Niederlassung Gelduba zwischen Novaesium und Asciburgium“, in dem er nach seinen eigenen Worten versuchte, „auch diesem kleinen Fleck Erde einige Früchte für die Muse der Geschichte abzugewinnen. Die Schrift enthält neben historischen Betrachtungen ein genaues Verzeichnis aller Fundgegenstände die der Verfasser in 25 Jahren auf Gelleper Boden gesammelt hatte. Er beschreibt
Grabungen, die von ihm angeregt und von Gelleper Landwirten auf ihren Feldern unternommen wurden. Dabei kam es diesen auf die Bergung von Gegenständen an, die von Sammlern begehrt waren und entsprechend gut bezahlt wurden. Stollwerck bemerkt, dass „Glasgefäße am besten zu verwerten“ seien. Auch Münzen erfreuten sich großer Beliebtheit, während Tongefäße weniger geschätzt wurden. Auf Grabzusammenhänge achtete niemand. Größere Privatsammlungen kamen so zustande, Stollwerck selbst besaß eine solche, doch sind sie alle spätestens in den beiden Weltkriegen verloren gegangen.
Die erste archäologische Ausgrabung aus wissenschaftlichem Interesse unternahm 1896 der Krefelder Gymnasialprofessor August Oxé. Er war ein Altphilologe von hohen Graden, der zahlreiche wichtige und grundlegende Aufsätze zu verschiedenen Themen der Altertumskunde
verfasst hatte. Vor allem beschäftigte er sich mit Problemen der
Terra sigillata, in seinen späteren Lebensjahren (er starb 1944) auch mit den antiken Maß- und Gewichtssystemen. Viele seiner Arbeiten sind bis heute grundlegend geblieben 9.‘ Bei seinen Grabungen in Gellep handelte es sich, den Möglichkeiten seiner Zeit entsprechend, um bescheidene Unternehmungen. Oxé selbst verstand sie als eine Art Testgrabung. Er bemerkte, dass „bei dem Mangel an Zeit und den beschränkten Mitteln von einer planmäßigen Ausgrabung keine Rede
sein könnte. Für sein hohes Verantwortungsgefühl spricht, dass er nach eigener Aussage darauf bedacht war, „möglichst schonend zu Werke zu gehen, um einer späteren Ausgrabung nicht störend in die Quere zu kommen“. Oxé war auf Mauern des römischen Kastells gestoßen und hatte auch mehrere römische Gräber aufgedeckt.

In den
Jahren 1908 bis 1911 wurden vom Rheinischen Landesmuseum Bonn Ausgrabungen am Hülser Berg unternommen. Hier befindet sich ein aus Wall und Gräben bestehendes Befestigungswerk, eines der wenigen archäologischen Denkmäler im Stadtgebiet, das noch oberirdisch sichtbar ist. Die Konstruktion von Wall und Gräben konnte geklärt und die ganze Anlage der vorrömischen Eisenzeit zugewiesen werden.
1914 führten Mitarbeiter des Rheinischen Landesmuseums kleinere Ausgrabungen südlich des heutigen Dorfes Gellep durch.“11
1930 stellte die Stadt Krefeld Mittel für eine begrenzte archäologische Untersuchung zur Verfügung und verpflichtete einen jungen Wissenschaftler, Kurt Bittel der gerade sein Doktorexamen bestanden hatte. Er grub 600 m südöstlich des heutigen Dorfes über eine weite Strecke hin römische Grabensysteme aus, die sich nach wenigen Fundstücken nur grob in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts datieren ließen. Auch ihre Zweckbestimmung war nicht eindeutig festzustellen. In Gellep ist Kurt Bittel also vom Grabungsglück nicht gerade verwöhnt worden. Später wurde es ihm in überreichem Maße zuteil, seine Ausgrabungen in Boghazköy, der Hauptstadt des Hethiterreiches in Kleinasien, machten ihn weltberühmt.
War bisher das archäologische Interesse hauptsächlich auf die Römerzeit gerichtet, so standen bei Dr. Joseph Rademacher, Direktor der Krefelder Kaufmannsschule, vom Beginn der dreißiger Jahre an vorgeschichtliche Forschungen im Mittelpunkt seines Interesses. Er beobachtete gezielt und sehr intensiv Bodenaufschlüsse an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet. Im Kaiser-Wilhelm-Park konnte er 28 Gräber aus der
Hallstattzeit entdecken, etliche solche in Hüls und bei der Einebnung des „Heidberges“ bei Stratum fand er Siedlungsspuren und Gräber, die von der Jüngeren Steinzeit bis in die Zeit um
Christi Geburt reichten.
1931 hatte Prof. Dr. Karl Rembert, der damalige Leiter des Heimatmuseums in Linn, eine kleine Ausgrabung auf der Flur "In der Elt", halbwegs zwischen Gellep und Linn gelegen, unternommen. Es war seit langem bekannt, dass sich hier die Reste einer abgegangenen Kirche befanden. Schon in einer Urkunde aus dem Jahre 1415 war sie nur noch als Flurbezeichnung "An der alder kircken" aufgeführt. Rembert stieß auf Steinfundamente und etliche beigabenlose Gräber. Erst 1989 konnte vom Museum Burg Linn unter der Leitung von Dr. Christoph Reichmann die Untersuchung an dieser Stelle wiederaufgenommen werden.

Die Erforschung des
antiken Gelduba erhielt eine ganz neue Dimension, als Prof. Dr. Albert Steeger sich ihr in den dreißiger Jahren zuwandte. Er war ursprünglich Volksschullehrer, später Rektor einer Mittelschule. Sein Hauptinteresse galt zunächst der Geologie, er verfasste mehrere grundlegende Arbeiten zur Erdgeschichte des Niederrheins und wurde 1923 an der Universität Köln zum Dr. rer. nat. promoviert. Später dehnte er seine Interessen auf Zoologie und Botanik aus, beschäftigte sich aber auch mit Volkskunde, Kunstgeschichte und Burgenforschung und schließlich mit der Archäologie. Auf Grund von Hinweisen Gelleper Bauern, die immer wieder bei der Feldarbeit auf antike Fundstücke gestoßen waren, begann er
1934 planmäßig zu graben.
Zunächst legte er südlich des Dorfes eine Reihe
fränkischer Bestattungen des 6. und 7. Jahrhunderts frei, 1936 stieß er in einigen hundert Metern Entfernung auf spätrömische und frühfränkische Gräber. Da aus dieser Zeit des Übergangs vom Altertum zum Mittelalter, vor allem aus dem 5. Jahrhundert, bis dahin aus dem Rheinland kaum Funde bekannt geworden waren, zeigte sich schon damals,
dass die Gräberfelder Gelleb's
für die archäologische Forschung von besonderer Bedeutung waren.
1936 hatte Steeger den Schuldienst verlassen, um sich ganz seinen archäologischen Forschungen und dem Aufbau eines Heimatmuseums widmen zu können.
Er führte, mit Ausnahme der Kriegsjahre, die Grabungen auf den
römisch-fränkischen Gräberfeldern weiter und beobachtete daneben systematisch alle Bodenbewegungen, besonders den Kiesabbau rings um Gellep. Eine eigentliche Grabung auf dem Gelände des Kastells Gelduba unternahm er nicht, dessen genaue Lage war auch noch nicht bekannt. Dagegen konnte er
Die ungefähre Ausdehnung des Vicus, der zum Kastell gehörenden Zivilsiedlung, feststellen und eine Therme, ein Badegebäude, untersuchen, ehe es vom Bagger weggerissen wurde.
1935 waren in Stratum, von Gellep ca. 800 m entfernt, beim Bau eines Wohnhauses unmittelbar an der Düsseldorfer Straße fränkische Gräber zum Vorschein gekommen.
Steeger grub daraufhin in der Baustelle selbst und deren Umgebung, und es gelang ihm, rund 150 Gräber aufzudecken. Das Ende der Belegung war keineswegs erreicht, doch hinderten ihn die immer ausgedehnter werdenden Grabungen in Gellep an der Weiterführung der Arbeiten. Erst 1978 konnten sie vom Museum Burg Linn aus, unter der Leitung von Dr. Jochen Giesler, fortgesetzt werden. Sie sind aber auch heute noch nicht abgeschlossen.

Dasselbe gilt für die Ausgrabungen auf den Gräberfeldern von Gellep. Als Steeger
1958 starb, hatte er bereits rund 1200 römische und fränkische Gräber aufgedeckt. Seit 1959 werden dort die Grabungen von der Verfasserin weitergeführt. Anfangs handelte es sich um kleinere, bescheidene Unternehmungen, doch änderte sich dies plötzlich, als 1961 bekannt wurde, dass die Stadt Krefeld beabsichtigte, ihren Rheinhafen weiter auszubauen und diesem Projekt ein Teil des Geländes zum Opfer fallen würde, auf dem sich vermutlich die antiken Gräberfelder fortsetzten. Das Tempo der Grabungen wurde daraufhin beträchtlich erhöht und es gelang
glücklicherweise, alle betroffenen Flächen vor der Abbaggerung zu untersuchen.
In jenen Jahren kamen besonders Aufsehen erregende Funde in Gellep zum Vorschein:
1962 das Grab eines fränkischen Fürsten, 1964 und 1965 in dessen Nähe fünf Gräber von ungewöhnlichen Ausmaßen, die zwar alle antik beraubt waren, die aber, nach ihrer Größe und nach Resten der einstigen. Ausstattung zu schließen, Persönlichkeiten fürstlichen Ranges zugeschrieben werden können.
In den Jahren danach wurden bald größere, bald kleinere Grabungen unternommen, je nach dem Grad der Gefährdung des Geländes durch Überbauung oder Abbaggerung.
Seit
1983 finden alljährlich größere, planmäßige Grabungen statt, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert werden.
Im Bereich des Vicus hatte Dr. Wilhelm Piepers vom Rheinischen Landesmuseum Bonn 1954 und
1955, noch zu Lebzeiten Steegers und in Zusammenarbeit mit ihm, Ausgrabungen unternommen.»‘16 Sie führten zur Aufdeckung mehrerer Gebäudekomplexe, die vom Ende des 1. bis in die 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts reichen. Besonders bedeutsam wurde die Entdeckung eines in römische Ruinen eingefügten fränkischen Töpferofens aus dem 6. Jahrhundert, bis heute die einzige eindeutige fränkische Siedlungsspur auf Gelleper Boden.
1958 versuchte Dr. Gustav Müller im Auftrage des Rheinischen Landesmuseums mittels etlicher Testschnitte die Ausdehnung der römischen Bauspuren im Südosten des Dorfes einzugrenzen, wobei er auf Straßenzüge, Befestigungsgräben und Gebäudereste stieß. Die Grabungen fanden keine Fortsetzung, da G. Müller in den folgenden Jahren mit anderen Aufgaben betraut wurde.

Prof. Dr. Christoph Rüger grub von
1964 bis 1968 zusammen mit Dr. Ilse Paar, die später Mitarbeiterin des Museums Burg Linn wurde, im Bereich des heutigen Dorfes. Dabei wurde der Grundriss eines in Steinbauweise errichteten Gebäudes freigelegt, das aus einer Aula mit Porticus und Querhalle bestand.‘18 Es konnte sich dabei nur um die Principia, das Haupt- und Stabsgebäude des Kastells handeln. Bei späteren Grabungen gelang es I. Paar, Teile der Umwehrungen festzustellen. Damit war erstmals die genaue Lage des Lagers Gelduba bekannt. Kurz vor ihrem Tod 1980 hatte Ilse Paar noch begonnen, die
Praetentura, d.h. die östliche Seite des Kastells zu untersuchen, ehe diese im Zuge der Bauarbeiten für den Krefelder Rheinhafen abgebaggert wurde. Leider war eine vollständige Ausgrabung des Geländes nicht mehr möglich.
1972 und 1973
wurden beim Ausbaggern eines neuen Hafenarmes in 10 m Tiefe die Wracks dreier Kähne entdeckt und geborgen. Einer stammte aus karolingischer Zeit, die beiden anderen aus dem hohen Mittelalter.
1975 wurden unterhalb der Retentura in 10 m Tiefe beim Baggern Reste des römischen Hafens entdeckt. Sie waren bereits so stark zerstört, dass eine ordnungsgemäße Ausgrabung nicht mehr möglich war und sich weder die einstige Ausdehnung noch die genaue Konstruktion der Kaianlagen feststellen ließen. Es hatte sich gezeigt,
dass der Aushub des Baggers durchsetzt war mit Abfallprodukten und Kleinfunden römischer Herkunft: Scherben, Knochen, Metallgegenständen und einer Unmenge von Münzen. Die Kunde davon verbreitete sich schnell, und es setzte ein gewaltiger Ansturm auf das Hafengelände ein, ganze Scharen von Hobby-Forschern wühlten in den Abraumhalden. Viele tausend Münzen wurden auf diese Weise aufgesammelt und verschwanden in Privatsammlungen. Eine
Numismatikerin, Barbara Winter, unternahm es, alle irgendwie erreichbaren Münzen zu bestimmen, insgesamt nahezu 3000 Stück. Mehr als 20.000 sollen im Hafengebiet gefunden worden sein.
Drei größere Notgrabungen waren
1978 und 1979 unternommen worden. Alle drei gehen auf Entdeckungen eines ehrenamtlichen Helfers des Museums Burg Linn, Dipl. Ing. Detlef Stender, zurück, dessen Mitarbeit sich als äußerst fruchtbar erwiesen hat. Er beobachtete frisch gepflügte Felder, Baugruben und andere Bodenaufschlüsse, meldete dem Museum seine Entdeckungen und lieferte das aufgesammelte Fundmaterial ab. Im Herbst 1978 und Frühjahr 1979 entdeckte er bei den riesigen Erdbewegungen für die Erholungsgebiete "Unten im Bruch" im Ortsteil Vennikel frühmittelalterliche Siedlungsspuren. Eine daraufhin eingeleitete Grabung unter der Leitung von J. Giesler führte zur Aufdeckung einer karolingerzeitlichen Siedlung, von der leider der größte Teil bereits abgebaggert war.

1979 begann J. Giesler daneben mit der Aufdeckung von Grab- und Siedlungsspuren aus der jüngeren Hallstat- und älteren La-Téne-Zeit im Gebiet der Klär- und Müllverbrennungsanlage Uerdingen, die dann von Dr. Thomas Ruppel im Auftrag der Außenstelle Xanten des Rheinischen Landesmuseums weitergeführt wurde.21
Die wichtigste Unternehmung war eine 1979 auf Grund von Hinweisen Stender 's durch Giesler unternommene Grabung in Stratum. Am westlichen Rande des Dorfes wurden Siedlungsreste aufgedeckt, die aus dem
10. und 11. Jahrhundert stammen. In der Nähe fließt der Oelvebach vorbei und es gab Hinweise von älteren Bewohnern Stratums, dass sich hier früher ein "Hügel mit Graben" befunden habe, der in den zwanziger Jahren eingeebnet wurde. Für die Parzelle ist der Name "Puppenburg" überliefert. Intensive Geländebeobachtungen führten Giesler dazu, kaum wahrnehmbare Erhebungen als Reste einer Turmburg (Motte) zu identifizieren. Eine Grabung bestätigte dies.
Dr. Christoph Reichmann,
seit 1981 Mitarbeiter, seit 1996 Direktor des Museums Burg Linn, führt seither alljährlich systematisch Grabungen im Kastell Gelduba durch, die zu überraschenden Ergebnissen geführt haben. In groben Zügen ist die Baugeschichte nach dem Bataveraufstand bis zum Ende der Römerzeit geklärt. Auch im Bereich des Vicus stellten sich unerwartete Befunde ein. Über alle diese Ergebnisse berichtet der Ausgräber in diesem Band ausführlich, wie auch über mehrere Notgrabungen, die er an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet, meist unmittelbar vor der Überbauung, mit Bagger oder Planierraupe im Nacken, unternahm.
Besonders hervorzuheben ist die wieder auf eine Entdeckung D. Stender 's zurückgehende Ausgrabung eines
römerzeitlichen Heiligtums mit zentralem Tempel in Elfrath 1988. Größere und für die Ortsgeschichte wichtige Unternehmungen waren die Erforschung des Geländes der "Alten Kirche" und der ehemaligen Margareten-Kirche 1989 und 1990 sowie eine Stadtkerngrabung in Linn 1996.
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